Ein (un)überwindbares Hindernis

Ein Rascheln im Dickicht, Scheinwerferlicht. Gefahr! Flucht nach vorne! Es kracht. Das durch den Wildunfall getötete Reh bleibt am Straßenrand liegen.

Rund 830.000 Kilometer Straße misst das deutsche Verkehrsnetz. Es erschließt Städte und Dörfer, quert Wälder und Wiesen. Pulsierende Verkehrsadern von der kleinen Landstraße zur mehrspurigen Autobahn. Dieses Straßennetz ist das Herzstück unserer Mobilität. Und es ist Todesursache für Millionen von Tieren.

Der Straßenverkehr bedeutet für Tiere einen gravierenden Eingriff in ihre Lebenswelt. Neben der erhöhten Sterblichkeit durch Unfälle zerschneiden Straßen zusätzlich die Lebensräume von Tieren. Dadurch wird auch der genetische Austausch behindert. Im schlimmsten Fall führt verhinderte Reproduktion zu einem Einbrechen der Populationen.

Von diesen Problemen betroffen ist auch der Fischotter. Er wird in der Roten Liste als gefährdet aufgeführt und der Verkehrstod als seine häufigste Todesursache.

Quelle: Volker Dienemann

Quelle: Volker Dienemann

Der Fischotter

Der eurasische Fischotter (Lutra lutra) gehört zur Unterfamilie der Otter aus der Familie der Marder. Fischotter leben im Wasser und an Land. Die pelzigen Wassermarder mit dem langen Schwanz werden bis zu 120 Zentimeter groß und zwölf Kilo schwer.

Volker Dienemann

Einer, dem es die Fischotter besonders angetan haben, ist Volker Dienemann. Er schützt und erforscht seit 45 Jahren Fischotter in Mecklenburg-Vorpommern. 1993 gründete er den Arbeitskreis Fischotterschutz beim BUND in Neubrandenburg.

Der größte Feind des Fischotters: die Straße

Der Alltag von wilden Ottern sieht ein wenig anders aus als der von Otti. Der Straßenverkehr ist eine große Herausforderung, bei der sich Otter auf ihren Fluchtinstinkt verlassen müssen. "Otter wollen der Gefahr aus dem Weg gehen. Sie erachten das Auto nicht als Feind, sie wollen einfach die Flucht nach vorne ergreifen. Da rollt aber eine Blechkulisse auf sie zu", sagt Volker Dienemann. Immer wieder muss er Ottertotfunde dokumentieren. "Jeder Anruf, jede Information, dass dort ein toter Otter liegt, berührt mich jedes Mal."

Auch die Lebensraumzerschneidung durch den Straßenverkehr bedroht den Otterbestand. Volker Dienemann erklärt: "Durch die Verinselung aufgrund dieser Zerschneidung kann der nötige Genaustausch nicht stattfinden. So werden die Otter krank und sterben aus."

Quelle: Volker Dienemann

Quelle: Volker Dienemann

Das sagen die Daten

Das Tierfund-Kataster ist eine Datenbank, in der bundesweit Funde toter Tiere erfasst werden. Anhand dieser Dokumentation lassen sich fast 73 % der Totfunde 2022 auf den Straßenverkehr zurückführen. Laut den Daten sind hauptsächlich Säugetiere (etwa 93 %) betroffen, gefolgt von Vögeln (etwa 6 %) und Amphibien (etwa 0,5 %).

Die Daten, die es zu Tiertotfunden gibt, sind jedoch nur teilweise aussagekräftig. Norman Stier ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Forstzoologie der Technischen Universität Dresden. Er hält die vorhandenen Statistiken für methodisch schwierig, weil sie nicht Vollerfassungen, sondern nur Stichproben darstellen würden. Zum Tierfund-Kataster meint er: "Nicht alle Totfunde werden in der Datenbank festgehalten, auch weil beispielsweise zahlreiche Tiere zuerst noch ein Stück laufen, nachdem sie angefahren wurden, und erst dann im Gras liegen bleiben."

Die Dunkelziffer ist folglich sehr hoch. Für die systematische Erfassung der realen Zahlen wäre eine entsprechende Finanzierung nötig.

Querungshilfen verbinden Lebensräume

Damit Tiere gefahrlos die Straßen überqueren können, brauchen sie Hilfe. Verschiedene Bauwerke ermöglichen ihnen einen Weg, um den Straßenverkehr in ihren Lebensräumen sicher zu überwinden. Es gibt Über- oder Unterquerungshilfen an Straßen, Brücken und Gewässern. Weil sich tierische Bedürfnisse je nach Art unterscheiden, sind viele Querungshilfen angepasst an bestimmte Tierarten: zum Beispiel Krötentunnel, Wildüberführungen, Querungshilfen für Fledermäuse oder Haselmäuse.

Die Allrounderin unter den Querungshilfen ist die Grünbrücke. "Sie hilft auf jeden Fall, weil sie von allen Arten genutzt werden kann. Aber da sie eben so teuer ist, wird sie nicht in der Stückzahl gebaut, wie die Tierwelt sie eigentlich bräuchte", betont Norman Stier von der Technischen Universität Dresden. Umso wichtiger, dass beim Bau von Grünbrücken an folgende Elemente gedacht wird.

Das braucht der Otter

Für den Fischotter sind Grünbrücken nicht geeignet. Als semiaquatisches Tier, das sowohl an Land als auch im Wasser lebt, bevorzugt er möglichst wassernahe Lebensräume. Damit der Otter Querungshilfen unter Brücken und Straßen nutzt, müssen diese an seine Bedürfnisse angepasst sein. Das ist gar nicht so einfach. Weil Otter ungern in einen dunklen Raum schwimmen, sollen Querungshilfen an Gewässern, die unter Brücken hindurchfließen, möglichst hoch sein. Sie müssen außerdem mindestens 50 Zentimeter bis ein Meter breit sein. Zusätzlich mögen Fischotter trockene Stellen, an denen sie entlangwandern und ihr Revier markieren können. Daher ist es ideal, wenn sie aus dem Gewässer auf beispielsweise runde Steine, Betonabsätze oder Bretter geleitet werden. All das soll für den Otter leicht erkennbar sein, damit er am Ende nicht doch den Weg über die Straße nimmt. Leitzäune können ihm dabei helfen, die Querungshilfe zu finden. Volker Dienemann wird oft von zuständigen Behörden angefragt, um bei der Errichtung von Querungshilfen für Fischotter zu beraten. Er zeigt eine gelungene Querungshilfe in der Nähe von Neubrandenburg in Mecklenburg-Vorpommern.

Die Wirksamkeit von Querungshilfen

Querungshilfen können es Tieren ermöglichen, Straßen sicher zu überwinden. Aber solche Bauwerke sind aufwendig und teuer. Werden sie auch wirklich genutzt? Das überprüfen Behörden und Naturschützer*innen durch Monitoringprojekte. Fotofallen und Filmkameras dokumentieren, wer oder was sich in den Querungshilfen bewegt. Volker Dienemann sichtet auf seinen Aufnahmen Fischotter, aber auch Igel, Marder, Waschbären, Füchse und Co.

Auch der Fuchs geht hier gerne spazieren.

Auch der Fuchs geht hier gerne spazieren.

Nach was der Waschbär wohl sucht?

Nach was der Waschbär wohl sucht?

Da kommt der Otter: Zeit für eine kurze Kratzpause.

Da kommt der Otter: Zeit für eine kurze Kratzpause.

Rein ins Nass. Dieser Fischotter freut sich über die kleine Brücke.

Rein ins Nass. Dieser Fischotter freut sich über die kleine Brücke.

Verwandschaftsbesuch: auch der Marder lässt sich mal blicken.

Verwandschaftsbesuch: auch der Marder lässt sich mal blicken.

Item 1 of 5

Auch der Fuchs geht hier gerne spazieren.

Auch der Fuchs geht hier gerne spazieren.

Nach was der Waschbär wohl sucht?

Nach was der Waschbär wohl sucht?

Da kommt der Otter: Zeit für eine kurze Kratzpause.

Da kommt der Otter: Zeit für eine kurze Kratzpause.

Rein ins Nass. Dieser Fischotter freut sich über die kleine Brücke.

Rein ins Nass. Dieser Fischotter freut sich über die kleine Brücke.

Verwandschaftsbesuch: auch der Marder lässt sich mal blicken.

Verwandschaftsbesuch: auch der Marder lässt sich mal blicken.

Dass solche Schutzmaßnahmen wirken, kann Volker Dienemann auch anhand von Totfunden belegen. Nachdem nach der Wende die Totfundrate von Fischottern im Straßenverkehr rund um Neubrandenburg drastisch angestiegen ist, konnten die Zahlen durch die Querungshilfen wieder gesenkt werden. 

Tiere hinterlassen verschiedene Spuren, wenn sie die Querungshilfen nutzen. Nach diesen Spuren sucht Volker Dienemann, um zu überprüfen, ob die Unterführungen genutzt werden. Er hält Ausschau nach Fußabdrücken, in der Fachsprache Trittsiegel, und Kot, auch Losung genannt.

Die Planung von Querungshilfen

Um eine sinnvolle Querungshilfe zu bauen, ist zuvor die Standortwahl entscheidend. "Man schaut, wo wichtige Lebensräume und Lebensraum-Verbundachsen sind", führt Norman Stier von der Technischen Universität Dresden aus. Zudem wird parallel zu jeder Straßenplanung auch eine Umweltplanung durchgeführt. "In Abstimmung mit den örtlichen Naturschutzbehörden wird sondiert, welche Artengruppen besonders relevant sind für den Raum und welche genauer untersucht werden", erklärt Simone Kloth, Referatsleiterin Umwelt und Landschaftsgestaltung an der Niederlassung Bautzen des sächsischen Landesamts für Straßenbau und Verkehr.

Gebaut für die Tierwelt, werden Grünbrücken aber auch vom Menschen genutzt. So hat die erste Grünbrücke des Amtsbereichs Görlitz einen drei Meter breiten Wirtschaftsweg für ansässige Landwirt*innen. Ein einjähriges Monitoring bewies auch darüber hinaus eine hohe menschliche Nutzung.

Doch der Mensch macht sich nicht nur tierische Querungshilfen zu eigen, er baut auch weiterhin neue Straßen und greift so immer weiter in die Lebenswelt der Tiere ein.

Simone Kloth über die Standortwahl von Grünbrücken.

Simone Kloth über die Standortwahl von Grünbrücken.

Simone Kloth über die menschliche Nutzung von Grünbrücken.

Simone Kloth über die menschliche Nutzung von Grünbrücken.

Es wird weiter gebaut

Die Natur mitdenken

Um der Verinselung der Tierarten entgegenzuwirken, werden Querungshilfen gebaut. Volker Dienemann betont deren Relevanz für die Erhaltung der Artenvielfalt und den Rückgang der Mortalitätsrate. Sein über 40-jähriges Engagement im Raum Neubrandenburg habe sich gelohnt: "Viele Brücken wurden ottergerecht gestaltet, sodass die Totfundzahlen drastisch heruntergegangen sind." Die Otterschutzmaßnahmen hätten sich im Laufe der Jahre positiv ausgewirkt. Durch die Wiedervernetzung der Lebensräume erhole sich der Fischotterbestand langsam wieder. Aber die Lebensräume der Tiere in Deutschland werden durch den Straßenausbau noch weiter zerschnitten.

Schutzmaßnahmen und Querungshilfen wirken, das zeigt das Beispiel von Volker Dienemann und den Fischottern im Raum Neubrandenburg. Auch Norman Stier von der Technischen Universität Dresden sieht die Entwicklungen rund um Querungshilfen für Tiere "auf einem guten Weg".

Dank des Engagements vieler Naturschützer*innen, von Naturschutzverbänden und veränderten rechtlichen Rahmenbedingungen für den Bau von Querungshilfen hat sich bereits einiges getan. Aber es sind vor allem die besonders gefährdeten Arten, die weiterhin vom Straßennetz und den Ausbauplänen bis 2030 bedroht sind. "Der Mensch muss die Natur mitdenken", sagt Volker Dienemann.

Die Lebensräume der Tiere müssen einen höheren Stellenwert für die Gesellschaft einnehmen und bei Entwicklungen rund um die Mobilität mehr berücksichtigt werden, betont er. Für den Fischotter hat das funktioniert. Es bleiben noch weitere 48 auf der Roten Liste der Säugetiere geführte Arten.

Impressum

Redaktion (Text, Fotos, Videos): Ann-Marie Amthor, Jonas Armbruster, Tobias Ehrmeier, Bojana Gajić, Elisa Göppert, Dariush Movahedian

Redaktionelle Leitung: Prof. Dr. Cornelia Wolf

Foto und Video Credits:
Volker Dienemann
Ann-Marie Amthor, Jonas Armbruster, Tobias Ehrmeier, Bojana Gajić, Elisa Göppert, Dariush Movahedian


Verantwortlich i.S.d.P.: Dariush Movahedian

Universität Leipzig
Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft
Nikolaistraße 27-29
04109 Leipzig

d.movahedian[at]gmail.com